Post by Little John on Apr 14, 2016 11:28:39 GMT
Petra und Dirk Wunderlich, zwei Gärtner aus Hessen, unterrichten ihre Kinder zu Hause. Die Mädchen und der Junge gelten als gut gebildet und sozial kompetent. Die Eltern machen sich trotzdem strafbar.
Die Wunderlichs wollen einfach nicht. Sie wollen sich nicht vom Staat vorschreiben lassen, wie sie ihre Kinder erziehen sollen. Petra und Dirk Wunderlich, beide Gärtner von Beruf, wollen ihre drei Töchter und den Sohn selbst unterrichten. Das machen sie schon seit Jahren so. Kein Jugendamt, kein Richter, kein Gesetz kann sie daran hindern. Am Dienstag, den 28. April 2015, mussten sie sich vor dem Darmstädter Amtsgericht in einem Strafprozess dafür verantworten.
Wegen Verstoßes gegen das hessische Schulgesetz wurden beide zu 90 Tagessätzen à fünf Euro verurteilt. Kaum vorstellbar, dass es das letzte Urteil ist, das über das Ehepaar gesprochen wird. "Wir lassen uns nicht beirren", sagte Dirk Wunderlich nach der Urteilsverkündung weltonline. "Wir werden weiter unsere Kinder zu Hause unterrichten."
Die Wunderlichs sind nur eine von mehreren Familien in Deutschland, die das tun. Genaue Zahlen gibt es nicht. Schließlich ist das illegal. Einige Schätzungen gehen von 40 bis 80 aus. 2010 hatte die Schulverweigerer-Familie Romeike aus Baden-Württemberg Schlagzeilen gemacht. Sie haben in den USA, das Homeschooling erlaubt, Asyl beantragt.
Mittlerweile sind die Wunderlichs Deutschlands berühmteste Schulverweigerer. Weil sich die Eltern konsequent weigerten, die Kinder in die Schule zu schicken, entzog ihnen 2012 das Darmstädter Amtsgericht Teile des Sorgerechts. Die Wunderlichs ließen die Kinder trotzdem zu Hause und unterrichteten sie weiter selbst.
Die Polizei holte die vier Kinder aus der Familie
Dann kam der 29. August 2013. Morgens um acht waren 20 Polizisten und Mitarbeiter des Jugendamtes bei den Wunderlichs und nahmen die vier Kinder mit, damals zwischen sieben und 14 Jahren. Drei Wochen waren die Kinder in staatlicher Obhut. Einmal durften die Eltern sie für zwei Stunden besuchen. Das war am achten Geburtstag der Jüngsten.
Die Wunderlichs sollten wissen, wer das Sagen hat. Bis zum 19. September 2013 ließ sich das Amtsgericht Darmstadt Zeit, bis es endlich eine Anhörung gab. Die Eltern gaben nach. Sie sagten, dass sie die Kinder in die Schule schicken würden. Sie wollten sie nicht noch einmal verlieren. Sie beugten sich dem Zwang und ihrer Angst. Überzeugt waren sie nicht.
Die Erfahrungen der Kinder, die von Oktober 2013 an brav in die staatliche Schule gingen, bestätigten ihre Vorbehalte. Die 14-jährige Machsejah empfand das Lernen als "künstlich". Sie hätte keine "Freude am Lernen" so wie früher, als sie in die "Heimschule" ging. Der 13-jährige Joshua empfand vieles als unsinnig. Die elfjährige Hananjah hatte Schwierigkeiten, sich in der Geräuschkulisse zu konzentrieren. Serajah, acht Jahre alt, klagte über die aggressive Stimmung auf dem Schulhof.
Schule als Kulturschock. Dass vier Kinder, die nie zuvor einen staatlichen Unterricht besucht haben, das so empfanden, ist nicht sonderlich erstaunlich und sicher auch eine Anregung, Schule, so wie sie bei uns praktiziert wird, zu überdenken. Dass sie nicht immer der Hort der Kreativität ist, sondern diese, wie Petra und Dirk Wunderlich bemängeln, unterdrücken würde, wird nicht bei wenigen auf Zustimmung stoßen.
Die Kinder gehören nicht dem Staat
Aber es ist nicht allein der mangelnde Einfluss auf die Entwicklung der eigenen schöpferischen Kräfte, den die Wunderlichs in der Schule vermissen. Petra und Dirk Wunderlich, gläubige Christen, sind grundsätzlich der Ansicht, dass sie, als von Gott bestimmte Eltern, das Recht haben, über das zu entscheiden, was ihre Kinder lernen – und nicht der Staat.
Der Staat aber argumentiert mit der Schulpflicht und damit mit dem Recht eines jeden Kindes auf Schulbildung, auf den Unterricht durch eine ausgebildete Lehrkraft, auf die Möglichkeit, Sozialverhalten in der Gruppe zu lernen, ein pluralistisches Weltbild zu entdecken, aus dem es sich seine eigenen Leitmotive wählen kann. Zudem verweisen die Gegner des Hausunterrichts auf die Gefahr der Bildung einer Parallelgesellschaft.
Tatsächlich gibt es unter den Homeschoolern auch fragwürdige Gruppierungen wie die Sekte der Zwölf Stämme. Anhänger der in Bayern ansässigen Glaubensgemeinschaft waren für ihre Weigerung, die Kinder auf eine Regelschule zu schicken, ins Gefängnis gegangen. Schließlich genehmigte der Freistaat der Gruppierung eine private Ergänzungsschule in den eigenen Räumen. Erst nach Jahren wurde bekannt, dass die Kinder dort misshandelt wurden.
Die Wunderlichs gelten nicht nur bei ihren Nachbarn, sondern auch bei den Behörden als Eltern, die sich gut um ihre Kinder kümmern, sie nicht abschotten, ihnen ein hohes Maß an Sozialkompetenz und Bildung vermitteln. Kein Gericht hat das in Zweifel gestellt oder gar behauptet, die Kinder wären irgendwie verwahrlost. Die Kinder gelten als freundlich, selbstbewusst, fantasievoll. Nachbarn lassen ihre Kinder gerne mit ihnen spielen, weil sie nicht den ganzen Tag vorm Computer sitzen. Aber die Wunderlich-Kinder gehen eben nicht zur Schule.
Amtsgericht verweigerte Ausreise nach Frankreich
Die Wunderlichs wollten weg aus Deutschland. Schon einmal hatten sie versucht, in Frankreich Fuß zu fassen, weil Heimunterricht dort, wie in den meisten anderen europäischen Staaten, möglich ist. Damals hatte Dirk Wunderlich aber keine Arbeit gefunden. Im Herbst 2013 sah es besser aus. Die Familie hatte die Möglichkeit, auf einem Hof in den Vogesen unterzukommen, einem Haus für Veranstaltungen mit sozialen und künstlerischen Themen. Sie hatten Freunde in Frankreich und wären erst mal versorgt gewesen.
Aber das Amtsgericht Darmstadt machte ihnen einen Strich durch die Rechnung. Die Wunderlichs wollten, dass ihnen die 2012 entzogenen Teile des Sorgerechts zurückgegeben werden, dazu zählte nicht nur die Regelung der Schulangelegenheiten, sondern auch das Aufenthaltsbestimmungsrecht. Aber das Amtsgericht sagte Nein. Die Eltern hätten also Deutschland verlassen können – die Kinder nicht.
Der Anwalt der Wunderlichs legte Beschwerde beim Oberlandesgericht (OLG) Frankfurt am Main gegen den Beschluss des Darmstädter Amtsgerichts ein. Das ließ sich Zeit. Die Wunderlichs entschieden inzwischen, die Kinder nicht mehr in die Schule zu schicken. Seit Juni 2014 lernten sie wieder zu Hause. Die Polizei kam nicht – stattdessen gab ihnen am 15. August 2014 das OLG das uneingeschränkte Sorgerecht zurück.
Die amerikanische Heimschullobby
Grund zum Jubeln hatten sie trotzdem nicht. Dass sie die Kinder nicht in die Schule schicken, wertete der Senat des OLG weiter als "Kindeswohlgefährdung". Schule bedeute schließlich nicht nur die Vermittlung von Wissen, sondern auch der Fähigkeit, "in das Gemeinschaftsleben hineinzuwachsen". Das Gericht machte ihnen unmissverständlich klar, dass sie sich durch den Verstoß gegen die Schulpflicht strafbar machen würden.
In den USA sind die Wunderlichs in bestimmten Kreisen mittlerweile zu einem Symbol einer in der Bundesrepublik diskriminierten Minderheit geworden. Die größte Heimschullobby, die Home School Legal Defense Association (HSLDA), hat den Wunderlichs sogar eine eigene Themenseite mit Video gewidmet. Dort wird das Urteil sicherlich kommentiert.