Post by Der Islam der is' lahm on Feb 12, 2016 10:16:36 GMT
"Die Rache Gottes"
Der Konflikt zwischen Saudi-Arabien und dem Iran bedroht die ganze Region – und auch Europa. Was sind seine Ursachen? Was kann man tun?
Von Andrea Böhm
21. Januar 2016 DIE ZEIT Nr. 2/2016, 7. Januar 2016 2 Kommentare
Die einzigen Worte der Mäßigung kamen ausgerechnet von einem, der allen Grund hatte, Hass zu schüren. Er trauere um seinen Bruder und danke für die Anteilnahme, twitterte Anfang der Woche Mohammed al-Nimr. "Aber wir lehnen Angriffe auf saudische Botschaften im Iran oder anderswo ab. Wir lieben unser Land."
Die Hinrichtung von Nimr al-Nimr, einem Führer der schiitischen Minderheit in Saudi-Arabien, hatte am vergangenen Samstag eine Kettenreaktion ausgelöst. Demonstranten in Teheran setzten ungehindert die saudische Botschaft in Brand, worauf Riad die diplomatischen Beziehungen abbrach. Diesem Schritt folgten Bahrain, Sudan, Kuwait und mit Einschränkungen die Vereinigten Arabischen Emirate. Der oberste Führer des Irans, Ajatollah Ali Chamenei, drohte wiederum: "Die saudischen Führer werden die Rache Gottes spüren."
Wenige Tage wechselseitiger Eskalation haben dem Nahen Osten ein neues Worst-Case-Szenario beschert: das einer direkten Konfrontation zwischen den beiden Golf-Anrainern.
Der Konflikt betrifft die gesamte Region. Er wirkt sich auf die Kriege in Syrien und im Jemen aus, die Flüchtlingskrise in den Nachbarländern sowie in Europa, die Ausbreitung von Al-Kaida und des "Islamischen Staates" (IS).
Diktaturen sind sie alle beide. Sie stehen auch beide vor der Frage, wie sie ihre Macht sichern können in einer Zeit der Globalisierung und des Internets.
Ihre Antworten fallen freilich unterschiedlich aus. Gewiss, das wichtigste Machtmittel bleibt die Repression, Massenhinrichtungen eingeschlossen. Aber im Iran konkurrieren immerhin politische Strömungen und Institutionen miteinander. Das Land hat eine Staats- und Rechtstradition, die den Rahmen für innenpolitische Beweglichkeit abgeben kann, sogar Reformen sind denkbar. Nicht so bisher in Saudi-Arabien, das von einer mit dem wahhabitischen Klerus verbündeten Dynastie regiert wird, die in den vergangenen Jahren allenfalls mal testete, was geschieht, wenn der Klammergriff des Regimes etwas gelockert wird.
Der kollabierende Ölpreis macht Saudi-Arabien besonders zu schaffen. Kaum ein Land ist so vom Öl abhängig – bis zu 90 Prozent seiner Exporterlöse verdient es mit dem Petroleumgeschäft. Die Ölverkäufe haben den Saudis märchenhaften Reichtum beschert und der Regierung einen erheblichen innen- und außenpolitischen Spielraum. Mit seinen Überschüssen kaufte sich Saudi-Arabien nicht nur in westliche Firmen ein. Das Land verfolgte bis 2014 eine ausgeprägte Scheckbuchdiplomatie, während es militärische Abenteuer scheute. Die Saudis unterstützten viele Jahre lang die Palästinensische Autonomiebehörde, die Regierungen Jemens und Ägyptens, ohne dass sie in Konflikte direkt eingreifen mussten.
Doch nun sind die Schecks plötzlich ungedeckt. Der Ölpreisverfall belastet die Staatskasse in Riad dramatisch. Nach Berechnungen des Internationalen Währungsfonds muss Saudi-Arabien im kommenden Jahr Schulden in Höhe von rund 20 Prozent der Wirtschaftsleistung aufnehmen.
Für die Saudis ist das absehbare Ende der Sanktionen gegen die iranische Ölindustrie eine weitere schlechte Nachricht. Wenn der Iran mit seinen großen Ölreserven zusätzlich auf den Markt drängt, dürften die Preise noch weiter sinken und wird der Verdrängungswettbewerb der Produzenten wohl noch härter werden.
Immer, wenn die Saudis ihre Situation betrachten, stoßen sie auf den Iran. Anders als jene verfolgt dieser derzeit eine Strategie, die Früchte trägt. Das mit dem Westen, mit China und Russland vereinbarte Abkommen über die Nukleartechnik hat Irans Isolierung beendet, seine Wirtschaft kann aufatmen. Und seine Rolle im Syrienkrieg sichert ihm, dem einstigen Paria, einen Platz an den Verhandlungstischen. Man kann es auch so ausdrücken: Die sunnitische Führungsmacht Saudi-Arabien gerät gerade unter Druck, die schiitische befreit sich allmählich davon.
Mit der Spaltung des Islams im siebten Jahrhundert hat das alles nur bedingt zu tun. Damals entbrannte zwischen den Anhängern des verstorbenen Propheten Mohammed jener Nachfolgestreit, der die Muslime schließlich in Sunniten und Schiiten teilte. Erstere beziehen sich ausschließlich auf die Offenbarung Mohammeds und seine Lehren, Letztere betrachten außerdem ihre Imame und Ajatollahs als Interpreten des göttlichen Willens. Die konfessionellen Differenzen zwischen beiden Gruppen verschärften sich erst nach der iranischen Revolution 1979 so richtig. Sie rief unterschwellig auch den alten Gegensatz zwischen Arabern und Persern wieder wach.
Ajatollah Chomeinis schiitischer Führungsanspruch über die Grenzen des Irans hinaus war der erste Schock für Saudi-Arabien. Der zweite folgte, als im selben Jahr militante Wahhabiten in der großen Moschee von Mekka ein Blutbad anrichteten. Riads Antwort war die politische Umarmung des Wahhabismus: Erstens, um Einfluss auf den Dschihadismus zu nehmen, und zweitens, um die Front gegen das schiitische Revival zu stärken. Riad finanzierte fundamentalistische Religionsschulen von Dakar bis Karachi, bezahlte jungen Saudis das Ticket für die Reise zu den Schlachtfeldern von Afghanistan, Bosnien und Tschetschenien und half Pakistan beim Bau seiner Atombombe, um den Iran in Schach zu halten – ironischerweise bezog Teheran später seine Bombentechnik ausgerechnet von dort.
Eingekreist fühlen sich immer noch beide Mächte. In Teheran ist die Erinnerung daran wach geblieben, dass es nach der Revolution von 1979 vom Westen isoliert und von dessen arabischen Verbündeten umzingelt wurde. Die iranische Führung tut auch alles dafür, dass der Erste Golfkrieg zwischen dem Iran und dem Irak in den 1980er Jahren im Gedächtnis bleibt. Damals starben Hunderttausende Iraner im Zermürbungskrieg gegen Saddam Hussein. Hinter dem irakischen Diktator standen die USA und Saudi-Arabien und lieferten ihm Waffen.
Umgekehrt sieht Saudi-Arabien im Iran eine tödliche Bedrohung, seitdem Chomeini zum Sturz des saudischen Königshauses aufgerufen hatte und sich anschickte, die schiitische Revolution in die Welt hinauszutragen. Heute sehen die Saudis ihre Befürchtungen bestätigt. Der Iran hat im Libanon die stärkste Partei des Landes aufgebaut, die Hisbollah. In Syrien operieren iranische Revolutionsgarden und Hisbollah-Milizen aufseiten des Diktators Baschar al-Assad. Im Irak hat nach dem Einmarsch der Amerikaner eine vom Iran unterstützte schiitische Regierung die Macht übernommen. In Palästina unterstützt der Iran die sunnitische Hamas in ihrem Krieg gegen Israel, den inoffiziellen Alliierten der Saudis im Kampf gegen Teheran. Im Jemen haben die schiitisch-zaiditischen Huthis die Hauptstadt erobert – sie haben im Iran einen Bündnispartner auf internationalem Parkett. Und entlang der saudischen Ölquellen am Golf bei Katif, auch in Bahrain und in Kuwait leben Schiiten mit verwandtschaftlichen Banden in den Iran.
Saudi-Arabien sieht seinen Status als Regionalmacht gefährdet, wähnt sich von den USA und Europa verraten und inzwischen massiv von jenen Dschihadisten bedroht, deren Vorgänger es einst selbst auf den Weg geschickt hatte. Im vergangenen Monat rief Abu Bakr al-Bagdadi, der selbst ernannte Kalif des "Islamischen Staates", zum Sturz der Monarchie auf. Die Massenhinrichtung von 47 Menschen am vergangenen Samstag wurde daher überwiegend an Anhängern von Al-Kaida verübt, darunter Faris al-Sahrani, ein maßgeblicher Theoretiker des Terrornetzwerks. Zugleich hat das saudische Königshaus mit Verhaftungswellen unter der schiitischen Minderheit kürzlich klar signalisiert, dass es jede Form von Protest mit dem Terror von Al-Kaida und IS gleichsetzt. Mit irgendwelchen innenpolitischen Lockerungsübungen dürfte es fürs Erste vorbei sein. Dass der schiitische Aktivist Nimr al-Nimr ebenfalls dem Henker übergeben wurde, sollte vermutlich auch die wahhabitischen Hardliner im Land beschwichtigen. Ein mörderisches Kalkül, und es steht keineswegs fest, dass Riad die außenpolitischen Risiken zutreffend einschätzte.
In ihrer Paranoia konstruieren sie eine iranische Einmischung, wo keine ist. Nimr al-Nimr hat provozierende Reden geschwungen und das Königshaus mehr als einmal beleidigt. Aber von der iranischen Theokratie hielt er wenig, und erst recht nichts von ihrem syrischen Schützling Baschar al-Assad. Al-Nimr stand vielmehr an der Spitze einer zunehmend wütenden schiitischen Protestbewegung, die sich nicht nur gegen die Diskriminierung ihrer Konfession wendet, sondern auch gegen notorische Polizeigewalt, soziale Ungleichheit und mangelnde Dezentralisierung – Forderungen, die Saudi-Arabiens Schiiten mit liberalen Sunniten im Königreich teilen.
Innenpolitisch ist eine Deeskalation derzeit kaum noch vorstellbar, zumal weitere Hinrichtungen anstehen, unter anderem gegen Al-Nimrs Neffen. Außenpolitisch hat sich Saudi-Arabien im Jemen in einen verheerenden Krieg verrannt, angezettelt vom jungen Verteidigungsminister und Königssohn Mohammed bin Salman, der nach amerikanischem Vorbild einen Aufstand schiitischer Huthi-Rebellen im kleinen Nachbarland mit einem schnellen Luftkrieg niederschlagen wollte.
Das war im Frühjahr, gekämpft wird immer noch, und zwar mit logistischer Unterstützung der USA, Frankreichs und Großbritanniens. Im Land hat eine humanitäre Katastrophe begonnen. Der große Nutznießer ist bislang Al-Kaida, die im Bürger-und Luftkriegschaos inzwischen die Kontrolle über einen Teil des Landes übernommen hat.
Die Huthi-Rebellen gehören einer schiitischen Minorität an, mit Teheran haben sie bislang wenig zu tun. Aber nach der Exekution von Al-Nimr fielen auch sie in das schiitische Rachegebrüll ein. Die Erfolgschancen einer neuen Runde von Waffenstillstandsverhandlungen sind jetzt noch geringer, als sie es ohnehin schon waren.
Der schlimmste Fall-out der saudisch-iranischen Eskalation wäre das Scheitern der geplanten Friedensgespräche über Syrien.
Dass der Iran seit November mit am Verhandlungstisch sitzt, war für Saudi-Arabien schwer zu schlucken. Trotzdem reagierte die saudische Regierung erstaunlich konstruktiv, trieb die zerstrittene Anti-Assad-Front zu einer Konferenz in Riad zusammen und präsentierte danach immerhin ein Verhandlungskomitee und eine politische Grundsatzerklärung. In der war weder von der Einführung der Scharia noch vom sofortigen Abtritt Assads die Rede, sondern von religiösem Pluralismus, Neuwahlen und der territorialen Unversehrtheit des Landes. Dass Sahran Allusch, ein von Riad finanzierter Anführer einer mächtigen islamistischen Rebellengruppe, die Abmachung mittrug, galt als diplomatischer Erfolg der Saudis.
Allusch wurde wenige Tage nach der Konferenz durch einen gezielten russischen oder syrischen Luftangriff getötet – eine Demütigung für Saudi-Arabien. Die Exekution von Al-Nimr war womöglich auch eine Vergeltung für die Hinrichtung Alluschs. Die rückte wiederum einen Waffenstillstand in weite Ferne. Folglich geht der Krieg weiter.
Russische und syrische Kampfflugzeuge bombardieren nach wie vor oppositionelle Gebiete in Syrien. In der Stadt Madaja bei Damaskus sind rund 40.000 Menschen seit sieben Monaten durch syrische und iranische Truppen sowie Angehörige der libanesischen Hisbollah von jeder Versorgung abgeschnitten. Bewohner melden die ersten Hungertoten. Andere seien bei dem Versuch zu fliehen erschossen worden.
Nun versuchen Vertreter der USA, der EU und der UN, die nächste Syrien-Runde vor dem Scheitern zu bewahren, noch bevor sie überhaupt angefangen hat. Was nicht einfach ist, solange Riad und Teheran nicht einmal diplomatische Noten miteinander austauschen. Bleiben beide Seiten auf Konfrontationskurs, setzt spätestens im Frühjahr die nächste große Flüchtlingswelle aus Syrien ein. Die Todesurteile von Riad werden sich dann auch hierzulande auswirken.
Es fragt sich schließlich, welche Lehren aus der jüngsten Eskalation zu ziehen sind. Um ein regionales Wettrüsten zu verhindern und den Nahen Osten zu stabilisieren, wurde mit dem Iran das Atomabkommen geschlossen. Die Saudis stellen sich jetzt quer zu dieser Politik. Es erweist sich also, dass es falsch war, sie jahrzehntelang als Stabilitätsfaktor zu unterstützen. Stattdessen ist jetzt eine postimperiale Außenpolitik in der Region vonnöten, die mit dem Ausspielen der einen gegen die andere Seite bricht. Saudi-Arabien sollte jetzt nicht die Rolle zugeschrieben bekommen, die der Iran jahrzehntelang innehatte: die des Parias. Man darf weder dem Iran noch Saudi-Arabien total isolieren.
Riad wird gebraucht, wegen seiner guten Kontakte zur syrischen militanten Opposition. Deswegen muss man noch lange keine Waffen nach Saudi-Arabien liefern – und schon gar nicht schweigen, wenn dort wieder Menschen geköpft werden.
Teheran wird ebenfalls gebraucht, wegen seines Einflusses auf Damaskus. Doch für den Iran gilt ebenso: Zu Folter und Justizmord dürfen wir nicht schweigen. Und sprechen müssen wir mit beiden über die Deeskalation ihres Konflikts.
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Warum eskaliert der saudisch-iranische Konflikt gerade jetzt?
Es ist kein Zufall, dass sich die Regionalmächte gerade jetzt in mehreren Stellvertreterkriegen gegenüberstehen. Die seit der Islamischen Revolution von Ajatollah Ruhollah Khomeini 1979 geächtete schiitische Führungsmacht ist nach der Beilegung des Atomstreits gerade auf dem Weg zu internationaler Rehabilitierung – und damit zu alter Macht. Die selbst ernannte Schutzmacht aller Schiiten versucht, ihren Einfluss im Nahen Osten gegen die sunnitische Führungsmacht Saudi-Arabien zu sichern und auszuweiten.
In den Nachwehen des sogenannten arabischen Frühlings, in Zeiten zerfallender Machtstrukturen und Bürgerkriegen im Jemen, in Syrien und im Irak, werden die Karten neu gemischt. Besonders Syrien ist zum Schlüsselstaat geworden. Fällt das Land des bislang Iran-freundlichen Präsidenten Baschar al-Assad mit der sunnitischen Bevölkerungsmehrheit in den sunnitischen Einflussbereich, wäre das eine herbe Niederlage Teherans, das darüber hinaus auch die logistische Verbindung zu seinen Verbündeten von der libanesischen Hisbollah verlieren würde. Jetzt werden die Karten der Macht am Golf und darüber hinaus neu gemischt.
Wer steht auf Saudi-Arabiens Seite, wer hält zum Iran?
Saudi-Arabien kann sich vor allem auf die sunnitisch geprägten Golfstaaten wie Katar, die Vereinigten Arabischen Emirate und Kuwait verlassen. Im Jemen unterstützt Riad den Kampf der sunnitisch dominierten Regierung gegen die schiitischen Huthi-Rebellen, welche wiederum vom Iran ausgerüstet und beraten werden. In diesem Armenhaus der Arabischen Halbinsel ist der Stellvertreterkrieg besonders deutlich.
Bahrain wirft Teheran vor, Terroristen zu unterstützen sowie Zerstörung und Unruhe zu verbreiten
Der saudische Vizekronprinz, Verteidigungsminister und Königssohn Mohammed Ibn Salman führt die militärischen Operationen im Jemen persönlich. Bis auf Weiteres zählt Riad auch die USA und die Staaten der EU zu strategischen Verbündeten, doch in Washington und den europäischen Hauptstädten wird die Partnerschaft gerade angesichts des saudischen innen- wie außenpolitischen Gebarens überdacht.
Der Iran hat großen Einfluss auf den ebenfalls mehrheitlich schiitischen Nachbarstaat Irak. Im Libanon kann Teheran auf die schiitische Hisbollah-Miliz und in Syrien auf das Regime des Alawiten Assad zählen. Die alawitische Glaubensgemeinschaft bildet in Syrien eine etwa zehnprozentige Minderheit, steht den Schiiten nahe und gilt strenggläubigen Sunniten als häretisch. Außerdem gehört auch Aserbaidschan (75 Prozent Schiiten) zum so genannten schiitischen Halbmond, einer sichelförmigen Anordnung von Staaten im Mittleren Osten mit großen schiitischen Bevölkerungsanteilen.
Geht es im Kern wirklich um den konfessionellen Gegensatz zwischen Sunniten und Schiiten, also um Religion?
Der Gegensatz zwischen Sunniten und Schiiten begann mit einer Machtfrage. Die Schiiten sind die Anhänger der Schiat Ali, der Partei von Ali, des Cousins und Schwiegersohns des Propheten Mohammed. Nur Angehörige der Prophetenfamilie dürften die Muslime anführen, glaubten sie. Die Sunniten sahen das anders und wählten den ersten Kalifen. Sie blieben in der Mehrheit, und das Kalifat bildete jahrhundertelang die Zentralmacht der islamischen Welt. Dennoch gab und gibt es auch mehrheitlich schiitische Staaten wie den Iran.
Im Laufe der Geschichte sind in Sunna und Schia unterschiedliche Theologien gewachsen, doch auch Machtbeziehungen haben sich verfestigt – gerade dort, wo Angehörige einer Konfession immer wieder die jeweiligen Schutzmächte zu Hilfe rufen, um das Machtstreben der anderen abzuwehren. Glaube und Herrschaft sind so untrennbar verbunden.
Die aktuellen Konflikte werden aber auch durch andere Gegensätze begründet. Der niedrige Ölpreis hat den saudischen Staatshaushalt ruiniert, und wenn nach dem Ende der Atomsanktionen der zweitgrößte Öllieferant Iran wieder in den Weltmarkt integriert ist, wird der Rohstoff sicher nicht teurer. Dazu kommt ein politischer Gegensatz: Aufseiten der Sunniten kämpfen traditionelle Monarchien um ihre Zukunft, auf der schiitischen Seite eher revolutionär-militaristische Regime. Die Aufstände der letzten Jahre zeigen jedoch: In einer Sinnkrise befinden sich beide Staatsformen.
Warum wurden Nimr al-Nimr und die anderen 46 hingerichtet?
Die Massenhinrichtung ist ein politisches Signal an alle Kritiker des Königshauses. Der prominente schiitische Prediger Nimr al-Nimr hatte den saudischen Schiiten eine politische Stimme gegeben, die den Monarchen in Riad zu laut und gefährlich schien. 2014 hatte ihn ein Anti-Terror-Gericht zum Tode verurteilt, sein Leichnam sollte danach gekreuzigt werden. Schließlich habe er "religiöse Konflikte geschürt".
Die große Mehrzahl der Getöteten ist aber sunnitisch und tatsächlich einem terroristischen Lager zuzuordnen. Mit ihrer Exekution will man nach außen ein Signal für einen entschlossenen Kampf gegen den Terror setzen. Aber auch nach innen wollen die Monarchen demonstrieren, dass sie hart durchgreifen können. Denn vor allem die Jugend des Landes droht abtrünnig zu werden. Auf dem stagnierenden saudischen Arbeitsmarkt sehen junge Saudis immer weniger Zukunft – eine Unzufriedenheit, die Radikalen in die Hände spielt. Bereits 2500 junge Saudis haben sich dem IS angeschlossen. Das drastische Vorgehen der Monarchen zeigt, wie sehr sie dieses Gewaltpotenzial fürchten.
Wie ist die Lage der saudischen Schiiten?
Etwa 15 Prozent der Saudis sind Schiiten. Die meisten von ihnen leben in der Ostprovinz des Landes, wo sich auch die größten Ölvorkommen des Landes befinden. Deswegen wurden sie von der Führung immer wieder als Sicherheitsrisiko wahrgenommen. Obwohl ihre Provinz am meisten zu Saud-Arabiens Wohlstand beiträgt, profitieren schiitische Siedlungsgebiete weniger als andere von staatlicher Förderung.
Besucher berichten von einem schon im Straßenbild wahrnehmbaren Reichtumsgefälle und einer an Krisengebiete erinnernde Militärpräsenz. Auch sind Schiiten von bestimmten Berufen im Bildungssystem und den Streitkräften ausgeschlossen und protestieren für die gleichberechtigte Ausübung ihres Glaubens. Immer wieder gibt es Demonstrationen von saudischen Schiiten, zum Teil auch Zusammenstöße mit Sicherheitskräften, insbesondere 2012 im Zuge des sogenannten arabischen Frühlings und nach dem Todesurteil gegen Nimr al-Nimr.
Nach der Islamischen Revolution im Iran 1979 gab es auch in Saudi-Arabien eine kurze Erhebung der Schiiten. Seither haben die schiitischen Aktivisten Saudi-Arabiens stets demonstrativen Abstand zum Iran gehalten. Ihre Forderungen gingen zum Teil noch über schiitische Interessen im engeren Sinne hinaus. So forderten sie auch eine unabhängige Justiz und freie Wahlen. Das macht sie zusätzlich verdächtig.
Wie stabil und wie geeint ist die saudische Monarchie?
Das Könighaus der Saud ist unruhig. Nicht nur wegen der wirtschaftlich schwierigen Lage im Land und zunehmendem Widerspruch aus der Bevölkerung, sondern auch, weil daraus resultierende interne Machtkämpfe dem Hof gefährlich werden könnten. Hier kursieren mehrere offene Briefe, die gar vor einem Zusammenbruch der Monarchie warnen. Dem Rang nach liegt die Macht derzeit beim alternden König Salman, seinem Kronprinzen und Innenminister Mohammed Bin Naif sowie dem Vizekronprinzen und Verteidigungsminister Mohammed Bin Salman. Tatsächlich dürften die wesentlichen Entscheidungen nicht mehr vom König direkt getroffen werden, sondern von seinen Stellvertretern – die sich Gerüchten zufolge jeweils um die Vorherrschaft bemühen.
Kann es Krieg geben zwischen den Regionalmächten?
Eine direkte militärische Konfrontation zwischen Saudi-Arabien und dem Iran ist nicht das wahrscheinlichste Szenario. Die saudischen Streitkräfte sind zwar gut ausgestattet, aber relativ kampfunerfahren – anders als die Iraner. Doch auch die iranischen Schiiten ehren die heiligen Stätten von Mekka und Medina. Ein Angriff auf den Staat, der sie beherbergt, wäre auch deshalb problematisch. Für beide Staaten wäre ein Krieg gefährlich, ein erreichbares Ziel wäre kaum zu formulieren. Wahrscheinlicher sind neue Vormärsche auf den Nebenkriegsschauplätzen: den Konflikten in Syrien, im Jemen und im Irak und andernorts, wo beide Staaten Klienten unterstützen.
Welche anderen Folgen kann der Konflikt haben?
Die konfessionelle Spaltung nimmt zu. Das zeigt der Abbruch diplomatischer Beziehungen zum Iran durch Saudi-Arabien, Bahrain, den Sudan und die Vereinigten Emirate.
Die Spannungen in gemischt konfessionellen Ländern dürften wachsen, etwa in Bahrain und im Libanon, möglicherweise auch in Pakistan. Die Bürgerkriege in Syrien und im Jemen dürften sich intensivieren. Auch diplomatische Folgen sind zu befürchten: Ob der begonnene Friedensprozess in Syrien noch eine Chance hat, bleibt abzuwarten.
Sogar der Kampf gegen die Terrormiliz IS könnte leiden. Denn im Irak – dem Staat, der zwischen Saudi-Arabien und dem Iran liegt, kämpfen beide Länder mit dem Westen zusammen gegen die Extremisten. Wenn offene Feindschaft ausbricht, dann könnte dieses informelle Bündnis brüchig werden, versanden oder gar in einen Bürgerkrieg umschlagen.
In diesem Fall wäre die Konsequenz am sichersten, die neue Konflikte im Nahen Osten immer haben: ein steigender Ölpreis und ein Rückschlag für die Weltwirtschaft. All das bedeutet potenziell mehr Flüchtlinge für Europa.
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Saudi-Arabiens Bodentruppen-Pläne bedrohen die ganze Region
Sollte Saudi-Arabien Bodentruppen nach Syrien schicken, wären heftige Reaktionen Russlands die Folge. Auch die Türkei soll kurz vor einem Einmarsch stehen. Es droht ein regelrechter Flächenbrand.
Der Himmel über Syrien ist bereits ausgebucht. Kampfjets, Drohnen und bemannte Aufklärungsflugzeuge aus aller Herren Länder sind dort hoch oben rund um die Uhr unterwegs. Nun könnte es sein, dass die Hilfstruppen für Diktator Baschar al-Assad aus Russland, dem Iran, Afghanistan und dem Libanon bald Gesellschaft auf syrischem Boden bekommen. Denn Saudi-Arabien will Soldaten nach Syrien schicken, um die Terrorgruppe Islamischer Staat (IS) zu bekämpfen.
Voraussetzung dafür sei allerdings die Einwilligung der internationalen Anti-IS-Koalition. "Das Königreich ist bereit, sich an jeder Bodenoperation der Koalition in Syrien zu beteiligen", sagte der saudi-arabische Militärsprecher Ahmed Assiri dem Nachrichtenkanal al-Arabija.
Denn Bombardierungen allein würden nicht ausreichen, um gegen den IS zu gewinnen. "Vielmehr muss es einen Mix von Luft- und Bodenoperationen geben", führte der Brigadegeneral im Fernsehen weiter aus. Seit 2014 ist Saudi-Arabien Mitglied der von den USA angeführten Koalition und hat mehr als 190 Einsätze geflogen.
In Washington wusste man von den saudi-arabischen Plänen nichts. "Ich möchte darüber nichts sagen, da ich noch keine Möglichkeit hatte, mir dies anzusehen", sagte John Kirby, der Sprecher des amerikanischen Außenministeriums. Er betonte aber gleichzeitig, man würde alle Partner unterstützen, die mehr zum Kampf gegen den IS beitragen wollten.
Es bleibt allerdings die Frage, ob die USA und die anderen Länder der Koalition von der Einsatzbereitschaft Saudi-Arabiens wirklich begeistert sind. Vielleicht ist der Saudi-Offizier etwas übers Ziel hinausgeschossen. Denn die Lage in Syrien würde sich zusätzlich verkomplizieren und noch gefährlicher werden, als sie eh schon ist.
Saudi-arabische Soldaten sind in Syrien kaum willkommen
Saudi-arabische Bodentruppen in Syrien wären ohne die Zustimmung der Regierung in Damaskus nach internationalem Recht illegal. Und diese Zustimmung käme mit Sicherheit nie zustande. Denn das sunnitische Königreich am Golf gilt als Hauptfinanzier und Waffenlieferant islamistischer Rebellengruppen und damit als Urheber des ganzen Bürgerkriegschaos.
Zudem würden der Iran und Russland, die großen Verbündeten des Regimes, eine Präsenz saudi-arabischer Soldaten ebenso wenig gutheißen. Für den schiitischen Iran ist die sunnitische Golfmonarchie der große Gegenspieler um Macht und Einfluss in der Region. Die saudi-arabischen Herrscher sind für Teheran die Inkarnation des Bösen, die jahrzehntelang die radikale Saat eines sunnitischen Islam weltweit ausgelegt haben.
Und Russland? Das war im September offiziell von Damaskus zu Hilfe gerufen worden und hat seine Militärmaschinerie in Gang gesetzt, um seine Interessen in Syrien und in der Region um jeden Preis durchzusetzen. Gerade jetzt tragen die millionenschweren Investitionen Früchte. Die syrische Armee hat Erfolge wie nie zuvor und ist drauf und dran, die großen Weichen für einen Sieg im Bürgerkrieg zu stellen.
Etwas Besseres hätte dem Kreml nicht passieren können. Da wird er kaum Soldaten eines als feindlich deklarierten Landes in seinem Vorhof dulden. Dass Riad die Terroristen des IS in Syrien bekämpfen wolle, glaubt niemand im Lager des syrischen Regimes. Damaskus, Russland und der Iran werden davon überzeugt sein, das saudi-arabische Königshaus wolle nur die Rebellen vor Ort unterstützen und ihre drohende Niederlage abwenden.
Warum sich Saudi-Arabien nicht mit Russland anlegen sollte
Das saudi-arabische Militär würde mit einem Einsatz in Syrien einen bewaffneten Konflikt mit Russland riskieren. Und der Kreml, davon kann man wohl ausgehen, wird sich gegen die unrechtmäßige Einmischung "verteidigen". Die militärischen Kapazitäten dazu hat er längst.
Seit Herbst letzten Jahres wurde die russische Militärbasis in Latakia stetig aufgerüstet. Neben einer Flotte von Kampfflugzeugen und Bombern wurden Panzer, Kampfhubschrauber, Dronen und das S400-Flugabwehrsystem stationiert. Vor der syrischen Küste kreuzen Kriegsschiffe. Jederzeit können aus Tausenden von Kilometern Entfernung Langstreckenraketen abgefeuert werden.
Der deutsche Nato-General Hans-Lothar Domröse ist über die russische Machtdemonstration besorgt. "Russland ist eine große Militärmaschine, besitzt hochmoderne Panzer, Schiffe und Flugzeuge", sagte der General. In kürzester Zeit könnte Moskau fast 100.000 Mann verschieben. Russland ist also ein Gegner, mit dem man sich besser nicht anlegen sollte.
Erdogans gesamte Syrien-Politik steht auf dem Spiel
Dieser Ratschlag scheint dem türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan egal zu sein. Letzten November schoss die türkische Luftwaffe einen russischen Jet kurzerhand ab, der nur für wenige Sekunden das Hoheitsgebiet der Türkei verletzt hatte.
Heute soll Erdogan kurz vor einer Invasion nach Syrien stehen. Dafür gibt es laut Igor Konaschenkow, dem Sprecher des russischen Verteidigungsministeriums, seit Wochen angeblich vermehrte Anzeichen. Man habe eine "wachsende Zahl von geheimen Vorbereitungen" festgestellt, die eine "militärische Invasion in den souveränen Staat Syrien" nahelegten. Konaschenkow behauptet, es gebe Satellitenaufnahmen, die das belegten.
Der russische Vorwurf ist nicht aus der Luft gegriffen. Letztes Jahr hatte Erdogan im Juni selbst die Unterstützung des Parlaments erwirkt, dass die türkische Armee gegen den IS und auch gegen das Assad-Regime kämpfen darf. Erdogans Plan war eine 100 Kilometer lange und 30 Kilometer breite Pufferzone auf syrischem Territorium. Damals sollte ein Keil zwischen die kurdischen Gebiete getrieben werden, die sich entlang der türkischen Grenze ziehen.
Ein Flächenbrand wäre die Konsequenz
Die Ausführung dieser Pufferzone dürfte heute für den türkischen Präsidenten so dringend wie nie zuvor sein. Denn seine gesamte Syrien-Politik steht auf dem Spiel. Um jeden Preis hatte er seinen Amtskollegen Assad stürzen wollen und dafür seit Bürgerkriegsbeginn islamistische Rebellen jedweder Couleur unterstützt. Und nun steht deren Schicksal auf Messers Schneide.
Die Erfolge der syrischen Armee von dieser Woche könnten dem Bürgerkrieg eine entscheidende Wende zugunsten des Regimes gegeben haben. Und die Erfolge dürften weitergehen, angesichts der nicht nachlassenden russischen Militärintervention. Die Rebellen haben dem nichts entgegenzusetzen.
Erdogan wird mehr und mehr an die Wand gedrängt, was dem egomanischen Politiker alles andere als gefällt. Man kann nur hoffen, er bleibt trotzdem realistisch genug, um sich nicht auf eine Konfrontation mit Russland einzulassen. Das Gleiche erhofft man sich von Saudi-Arabien und dessen Einsatz von Bodentruppen. Denn sonst wird der syrische Bürgerkrieg zu einem noch größeren Flächenbrand, als er jetzt schon ist.
Der Konflikt zwischen Saudi-Arabien und dem Iran bedroht die ganze Region – und auch Europa. Was sind seine Ursachen? Was kann man tun?
Von Andrea Böhm
21. Januar 2016 DIE ZEIT Nr. 2/2016, 7. Januar 2016 2 Kommentare
Die einzigen Worte der Mäßigung kamen ausgerechnet von einem, der allen Grund hatte, Hass zu schüren. Er trauere um seinen Bruder und danke für die Anteilnahme, twitterte Anfang der Woche Mohammed al-Nimr. "Aber wir lehnen Angriffe auf saudische Botschaften im Iran oder anderswo ab. Wir lieben unser Land."
Die Hinrichtung von Nimr al-Nimr, einem Führer der schiitischen Minderheit in Saudi-Arabien, hatte am vergangenen Samstag eine Kettenreaktion ausgelöst. Demonstranten in Teheran setzten ungehindert die saudische Botschaft in Brand, worauf Riad die diplomatischen Beziehungen abbrach. Diesem Schritt folgten Bahrain, Sudan, Kuwait und mit Einschränkungen die Vereinigten Arabischen Emirate. Der oberste Führer des Irans, Ajatollah Ali Chamenei, drohte wiederum: "Die saudischen Führer werden die Rache Gottes spüren."
Wenige Tage wechselseitiger Eskalation haben dem Nahen Osten ein neues Worst-Case-Szenario beschert: das einer direkten Konfrontation zwischen den beiden Golf-Anrainern.
Der Konflikt betrifft die gesamte Region. Er wirkt sich auf die Kriege in Syrien und im Jemen aus, die Flüchtlingskrise in den Nachbarländern sowie in Europa, die Ausbreitung von Al-Kaida und des "Islamischen Staates" (IS).
Diktaturen sind sie alle beide. Sie stehen auch beide vor der Frage, wie sie ihre Macht sichern können in einer Zeit der Globalisierung und des Internets.
Ihre Antworten fallen freilich unterschiedlich aus. Gewiss, das wichtigste Machtmittel bleibt die Repression, Massenhinrichtungen eingeschlossen. Aber im Iran konkurrieren immerhin politische Strömungen und Institutionen miteinander. Das Land hat eine Staats- und Rechtstradition, die den Rahmen für innenpolitische Beweglichkeit abgeben kann, sogar Reformen sind denkbar. Nicht so bisher in Saudi-Arabien, das von einer mit dem wahhabitischen Klerus verbündeten Dynastie regiert wird, die in den vergangenen Jahren allenfalls mal testete, was geschieht, wenn der Klammergriff des Regimes etwas gelockert wird.
Der kollabierende Ölpreis macht Saudi-Arabien besonders zu schaffen. Kaum ein Land ist so vom Öl abhängig – bis zu 90 Prozent seiner Exporterlöse verdient es mit dem Petroleumgeschäft. Die Ölverkäufe haben den Saudis märchenhaften Reichtum beschert und der Regierung einen erheblichen innen- und außenpolitischen Spielraum. Mit seinen Überschüssen kaufte sich Saudi-Arabien nicht nur in westliche Firmen ein. Das Land verfolgte bis 2014 eine ausgeprägte Scheckbuchdiplomatie, während es militärische Abenteuer scheute. Die Saudis unterstützten viele Jahre lang die Palästinensische Autonomiebehörde, die Regierungen Jemens und Ägyptens, ohne dass sie in Konflikte direkt eingreifen mussten.
Doch nun sind die Schecks plötzlich ungedeckt. Der Ölpreisverfall belastet die Staatskasse in Riad dramatisch. Nach Berechnungen des Internationalen Währungsfonds muss Saudi-Arabien im kommenden Jahr Schulden in Höhe von rund 20 Prozent der Wirtschaftsleistung aufnehmen.
Für die Saudis ist das absehbare Ende der Sanktionen gegen die iranische Ölindustrie eine weitere schlechte Nachricht. Wenn der Iran mit seinen großen Ölreserven zusätzlich auf den Markt drängt, dürften die Preise noch weiter sinken und wird der Verdrängungswettbewerb der Produzenten wohl noch härter werden.
Immer, wenn die Saudis ihre Situation betrachten, stoßen sie auf den Iran. Anders als jene verfolgt dieser derzeit eine Strategie, die Früchte trägt. Das mit dem Westen, mit China und Russland vereinbarte Abkommen über die Nukleartechnik hat Irans Isolierung beendet, seine Wirtschaft kann aufatmen. Und seine Rolle im Syrienkrieg sichert ihm, dem einstigen Paria, einen Platz an den Verhandlungstischen. Man kann es auch so ausdrücken: Die sunnitische Führungsmacht Saudi-Arabien gerät gerade unter Druck, die schiitische befreit sich allmählich davon.
Mit der Spaltung des Islams im siebten Jahrhundert hat das alles nur bedingt zu tun. Damals entbrannte zwischen den Anhängern des verstorbenen Propheten Mohammed jener Nachfolgestreit, der die Muslime schließlich in Sunniten und Schiiten teilte. Erstere beziehen sich ausschließlich auf die Offenbarung Mohammeds und seine Lehren, Letztere betrachten außerdem ihre Imame und Ajatollahs als Interpreten des göttlichen Willens. Die konfessionellen Differenzen zwischen beiden Gruppen verschärften sich erst nach der iranischen Revolution 1979 so richtig. Sie rief unterschwellig auch den alten Gegensatz zwischen Arabern und Persern wieder wach.
Ajatollah Chomeinis schiitischer Führungsanspruch über die Grenzen des Irans hinaus war der erste Schock für Saudi-Arabien. Der zweite folgte, als im selben Jahr militante Wahhabiten in der großen Moschee von Mekka ein Blutbad anrichteten. Riads Antwort war die politische Umarmung des Wahhabismus: Erstens, um Einfluss auf den Dschihadismus zu nehmen, und zweitens, um die Front gegen das schiitische Revival zu stärken. Riad finanzierte fundamentalistische Religionsschulen von Dakar bis Karachi, bezahlte jungen Saudis das Ticket für die Reise zu den Schlachtfeldern von Afghanistan, Bosnien und Tschetschenien und half Pakistan beim Bau seiner Atombombe, um den Iran in Schach zu halten – ironischerweise bezog Teheran später seine Bombentechnik ausgerechnet von dort.
Eingekreist fühlen sich immer noch beide Mächte. In Teheran ist die Erinnerung daran wach geblieben, dass es nach der Revolution von 1979 vom Westen isoliert und von dessen arabischen Verbündeten umzingelt wurde. Die iranische Führung tut auch alles dafür, dass der Erste Golfkrieg zwischen dem Iran und dem Irak in den 1980er Jahren im Gedächtnis bleibt. Damals starben Hunderttausende Iraner im Zermürbungskrieg gegen Saddam Hussein. Hinter dem irakischen Diktator standen die USA und Saudi-Arabien und lieferten ihm Waffen.
Umgekehrt sieht Saudi-Arabien im Iran eine tödliche Bedrohung, seitdem Chomeini zum Sturz des saudischen Königshauses aufgerufen hatte und sich anschickte, die schiitische Revolution in die Welt hinauszutragen. Heute sehen die Saudis ihre Befürchtungen bestätigt. Der Iran hat im Libanon die stärkste Partei des Landes aufgebaut, die Hisbollah. In Syrien operieren iranische Revolutionsgarden und Hisbollah-Milizen aufseiten des Diktators Baschar al-Assad. Im Irak hat nach dem Einmarsch der Amerikaner eine vom Iran unterstützte schiitische Regierung die Macht übernommen. In Palästina unterstützt der Iran die sunnitische Hamas in ihrem Krieg gegen Israel, den inoffiziellen Alliierten der Saudis im Kampf gegen Teheran. Im Jemen haben die schiitisch-zaiditischen Huthis die Hauptstadt erobert – sie haben im Iran einen Bündnispartner auf internationalem Parkett. Und entlang der saudischen Ölquellen am Golf bei Katif, auch in Bahrain und in Kuwait leben Schiiten mit verwandtschaftlichen Banden in den Iran.
Saudi-Arabien sieht seinen Status als Regionalmacht gefährdet, wähnt sich von den USA und Europa verraten und inzwischen massiv von jenen Dschihadisten bedroht, deren Vorgänger es einst selbst auf den Weg geschickt hatte. Im vergangenen Monat rief Abu Bakr al-Bagdadi, der selbst ernannte Kalif des "Islamischen Staates", zum Sturz der Monarchie auf. Die Massenhinrichtung von 47 Menschen am vergangenen Samstag wurde daher überwiegend an Anhängern von Al-Kaida verübt, darunter Faris al-Sahrani, ein maßgeblicher Theoretiker des Terrornetzwerks. Zugleich hat das saudische Königshaus mit Verhaftungswellen unter der schiitischen Minderheit kürzlich klar signalisiert, dass es jede Form von Protest mit dem Terror von Al-Kaida und IS gleichsetzt. Mit irgendwelchen innenpolitischen Lockerungsübungen dürfte es fürs Erste vorbei sein. Dass der schiitische Aktivist Nimr al-Nimr ebenfalls dem Henker übergeben wurde, sollte vermutlich auch die wahhabitischen Hardliner im Land beschwichtigen. Ein mörderisches Kalkül, und es steht keineswegs fest, dass Riad die außenpolitischen Risiken zutreffend einschätzte.
In ihrer Paranoia konstruieren sie eine iranische Einmischung, wo keine ist. Nimr al-Nimr hat provozierende Reden geschwungen und das Königshaus mehr als einmal beleidigt. Aber von der iranischen Theokratie hielt er wenig, und erst recht nichts von ihrem syrischen Schützling Baschar al-Assad. Al-Nimr stand vielmehr an der Spitze einer zunehmend wütenden schiitischen Protestbewegung, die sich nicht nur gegen die Diskriminierung ihrer Konfession wendet, sondern auch gegen notorische Polizeigewalt, soziale Ungleichheit und mangelnde Dezentralisierung – Forderungen, die Saudi-Arabiens Schiiten mit liberalen Sunniten im Königreich teilen.
Innenpolitisch ist eine Deeskalation derzeit kaum noch vorstellbar, zumal weitere Hinrichtungen anstehen, unter anderem gegen Al-Nimrs Neffen. Außenpolitisch hat sich Saudi-Arabien im Jemen in einen verheerenden Krieg verrannt, angezettelt vom jungen Verteidigungsminister und Königssohn Mohammed bin Salman, der nach amerikanischem Vorbild einen Aufstand schiitischer Huthi-Rebellen im kleinen Nachbarland mit einem schnellen Luftkrieg niederschlagen wollte.
Das war im Frühjahr, gekämpft wird immer noch, und zwar mit logistischer Unterstützung der USA, Frankreichs und Großbritanniens. Im Land hat eine humanitäre Katastrophe begonnen. Der große Nutznießer ist bislang Al-Kaida, die im Bürger-und Luftkriegschaos inzwischen die Kontrolle über einen Teil des Landes übernommen hat.
Die Huthi-Rebellen gehören einer schiitischen Minorität an, mit Teheran haben sie bislang wenig zu tun. Aber nach der Exekution von Al-Nimr fielen auch sie in das schiitische Rachegebrüll ein. Die Erfolgschancen einer neuen Runde von Waffenstillstandsverhandlungen sind jetzt noch geringer, als sie es ohnehin schon waren.
Der schlimmste Fall-out der saudisch-iranischen Eskalation wäre das Scheitern der geplanten Friedensgespräche über Syrien.
Dass der Iran seit November mit am Verhandlungstisch sitzt, war für Saudi-Arabien schwer zu schlucken. Trotzdem reagierte die saudische Regierung erstaunlich konstruktiv, trieb die zerstrittene Anti-Assad-Front zu einer Konferenz in Riad zusammen und präsentierte danach immerhin ein Verhandlungskomitee und eine politische Grundsatzerklärung. In der war weder von der Einführung der Scharia noch vom sofortigen Abtritt Assads die Rede, sondern von religiösem Pluralismus, Neuwahlen und der territorialen Unversehrtheit des Landes. Dass Sahran Allusch, ein von Riad finanzierter Anführer einer mächtigen islamistischen Rebellengruppe, die Abmachung mittrug, galt als diplomatischer Erfolg der Saudis.
Allusch wurde wenige Tage nach der Konferenz durch einen gezielten russischen oder syrischen Luftangriff getötet – eine Demütigung für Saudi-Arabien. Die Exekution von Al-Nimr war womöglich auch eine Vergeltung für die Hinrichtung Alluschs. Die rückte wiederum einen Waffenstillstand in weite Ferne. Folglich geht der Krieg weiter.
Russische und syrische Kampfflugzeuge bombardieren nach wie vor oppositionelle Gebiete in Syrien. In der Stadt Madaja bei Damaskus sind rund 40.000 Menschen seit sieben Monaten durch syrische und iranische Truppen sowie Angehörige der libanesischen Hisbollah von jeder Versorgung abgeschnitten. Bewohner melden die ersten Hungertoten. Andere seien bei dem Versuch zu fliehen erschossen worden.
Nun versuchen Vertreter der USA, der EU und der UN, die nächste Syrien-Runde vor dem Scheitern zu bewahren, noch bevor sie überhaupt angefangen hat. Was nicht einfach ist, solange Riad und Teheran nicht einmal diplomatische Noten miteinander austauschen. Bleiben beide Seiten auf Konfrontationskurs, setzt spätestens im Frühjahr die nächste große Flüchtlingswelle aus Syrien ein. Die Todesurteile von Riad werden sich dann auch hierzulande auswirken.
Es fragt sich schließlich, welche Lehren aus der jüngsten Eskalation zu ziehen sind. Um ein regionales Wettrüsten zu verhindern und den Nahen Osten zu stabilisieren, wurde mit dem Iran das Atomabkommen geschlossen. Die Saudis stellen sich jetzt quer zu dieser Politik. Es erweist sich also, dass es falsch war, sie jahrzehntelang als Stabilitätsfaktor zu unterstützen. Stattdessen ist jetzt eine postimperiale Außenpolitik in der Region vonnöten, die mit dem Ausspielen der einen gegen die andere Seite bricht. Saudi-Arabien sollte jetzt nicht die Rolle zugeschrieben bekommen, die der Iran jahrzehntelang innehatte: die des Parias. Man darf weder dem Iran noch Saudi-Arabien total isolieren.
Riad wird gebraucht, wegen seiner guten Kontakte zur syrischen militanten Opposition. Deswegen muss man noch lange keine Waffen nach Saudi-Arabien liefern – und schon gar nicht schweigen, wenn dort wieder Menschen geköpft werden.
Teheran wird ebenfalls gebraucht, wegen seines Einflusses auf Damaskus. Doch für den Iran gilt ebenso: Zu Folter und Justizmord dürfen wir nicht schweigen. Und sprechen müssen wir mit beiden über die Deeskalation ihres Konflikts.
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Warum eskaliert der saudisch-iranische Konflikt gerade jetzt?
Es ist kein Zufall, dass sich die Regionalmächte gerade jetzt in mehreren Stellvertreterkriegen gegenüberstehen. Die seit der Islamischen Revolution von Ajatollah Ruhollah Khomeini 1979 geächtete schiitische Führungsmacht ist nach der Beilegung des Atomstreits gerade auf dem Weg zu internationaler Rehabilitierung – und damit zu alter Macht. Die selbst ernannte Schutzmacht aller Schiiten versucht, ihren Einfluss im Nahen Osten gegen die sunnitische Führungsmacht Saudi-Arabien zu sichern und auszuweiten.
In den Nachwehen des sogenannten arabischen Frühlings, in Zeiten zerfallender Machtstrukturen und Bürgerkriegen im Jemen, in Syrien und im Irak, werden die Karten neu gemischt. Besonders Syrien ist zum Schlüsselstaat geworden. Fällt das Land des bislang Iran-freundlichen Präsidenten Baschar al-Assad mit der sunnitischen Bevölkerungsmehrheit in den sunnitischen Einflussbereich, wäre das eine herbe Niederlage Teherans, das darüber hinaus auch die logistische Verbindung zu seinen Verbündeten von der libanesischen Hisbollah verlieren würde. Jetzt werden die Karten der Macht am Golf und darüber hinaus neu gemischt.
Wer steht auf Saudi-Arabiens Seite, wer hält zum Iran?
Saudi-Arabien kann sich vor allem auf die sunnitisch geprägten Golfstaaten wie Katar, die Vereinigten Arabischen Emirate und Kuwait verlassen. Im Jemen unterstützt Riad den Kampf der sunnitisch dominierten Regierung gegen die schiitischen Huthi-Rebellen, welche wiederum vom Iran ausgerüstet und beraten werden. In diesem Armenhaus der Arabischen Halbinsel ist der Stellvertreterkrieg besonders deutlich.
Bahrain wirft Teheran vor, Terroristen zu unterstützen sowie Zerstörung und Unruhe zu verbreiten
Der saudische Vizekronprinz, Verteidigungsminister und Königssohn Mohammed Ibn Salman führt die militärischen Operationen im Jemen persönlich. Bis auf Weiteres zählt Riad auch die USA und die Staaten der EU zu strategischen Verbündeten, doch in Washington und den europäischen Hauptstädten wird die Partnerschaft gerade angesichts des saudischen innen- wie außenpolitischen Gebarens überdacht.
Der Iran hat großen Einfluss auf den ebenfalls mehrheitlich schiitischen Nachbarstaat Irak. Im Libanon kann Teheran auf die schiitische Hisbollah-Miliz und in Syrien auf das Regime des Alawiten Assad zählen. Die alawitische Glaubensgemeinschaft bildet in Syrien eine etwa zehnprozentige Minderheit, steht den Schiiten nahe und gilt strenggläubigen Sunniten als häretisch. Außerdem gehört auch Aserbaidschan (75 Prozent Schiiten) zum so genannten schiitischen Halbmond, einer sichelförmigen Anordnung von Staaten im Mittleren Osten mit großen schiitischen Bevölkerungsanteilen.
Geht es im Kern wirklich um den konfessionellen Gegensatz zwischen Sunniten und Schiiten, also um Religion?
Der Gegensatz zwischen Sunniten und Schiiten begann mit einer Machtfrage. Die Schiiten sind die Anhänger der Schiat Ali, der Partei von Ali, des Cousins und Schwiegersohns des Propheten Mohammed. Nur Angehörige der Prophetenfamilie dürften die Muslime anführen, glaubten sie. Die Sunniten sahen das anders und wählten den ersten Kalifen. Sie blieben in der Mehrheit, und das Kalifat bildete jahrhundertelang die Zentralmacht der islamischen Welt. Dennoch gab und gibt es auch mehrheitlich schiitische Staaten wie den Iran.
Im Laufe der Geschichte sind in Sunna und Schia unterschiedliche Theologien gewachsen, doch auch Machtbeziehungen haben sich verfestigt – gerade dort, wo Angehörige einer Konfession immer wieder die jeweiligen Schutzmächte zu Hilfe rufen, um das Machtstreben der anderen abzuwehren. Glaube und Herrschaft sind so untrennbar verbunden.
Die aktuellen Konflikte werden aber auch durch andere Gegensätze begründet. Der niedrige Ölpreis hat den saudischen Staatshaushalt ruiniert, und wenn nach dem Ende der Atomsanktionen der zweitgrößte Öllieferant Iran wieder in den Weltmarkt integriert ist, wird der Rohstoff sicher nicht teurer. Dazu kommt ein politischer Gegensatz: Aufseiten der Sunniten kämpfen traditionelle Monarchien um ihre Zukunft, auf der schiitischen Seite eher revolutionär-militaristische Regime. Die Aufstände der letzten Jahre zeigen jedoch: In einer Sinnkrise befinden sich beide Staatsformen.
Warum wurden Nimr al-Nimr und die anderen 46 hingerichtet?
Die Massenhinrichtung ist ein politisches Signal an alle Kritiker des Königshauses. Der prominente schiitische Prediger Nimr al-Nimr hatte den saudischen Schiiten eine politische Stimme gegeben, die den Monarchen in Riad zu laut und gefährlich schien. 2014 hatte ihn ein Anti-Terror-Gericht zum Tode verurteilt, sein Leichnam sollte danach gekreuzigt werden. Schließlich habe er "religiöse Konflikte geschürt".
Die große Mehrzahl der Getöteten ist aber sunnitisch und tatsächlich einem terroristischen Lager zuzuordnen. Mit ihrer Exekution will man nach außen ein Signal für einen entschlossenen Kampf gegen den Terror setzen. Aber auch nach innen wollen die Monarchen demonstrieren, dass sie hart durchgreifen können. Denn vor allem die Jugend des Landes droht abtrünnig zu werden. Auf dem stagnierenden saudischen Arbeitsmarkt sehen junge Saudis immer weniger Zukunft – eine Unzufriedenheit, die Radikalen in die Hände spielt. Bereits 2500 junge Saudis haben sich dem IS angeschlossen. Das drastische Vorgehen der Monarchen zeigt, wie sehr sie dieses Gewaltpotenzial fürchten.
Wie ist die Lage der saudischen Schiiten?
Etwa 15 Prozent der Saudis sind Schiiten. Die meisten von ihnen leben in der Ostprovinz des Landes, wo sich auch die größten Ölvorkommen des Landes befinden. Deswegen wurden sie von der Führung immer wieder als Sicherheitsrisiko wahrgenommen. Obwohl ihre Provinz am meisten zu Saud-Arabiens Wohlstand beiträgt, profitieren schiitische Siedlungsgebiete weniger als andere von staatlicher Förderung.
Besucher berichten von einem schon im Straßenbild wahrnehmbaren Reichtumsgefälle und einer an Krisengebiete erinnernde Militärpräsenz. Auch sind Schiiten von bestimmten Berufen im Bildungssystem und den Streitkräften ausgeschlossen und protestieren für die gleichberechtigte Ausübung ihres Glaubens. Immer wieder gibt es Demonstrationen von saudischen Schiiten, zum Teil auch Zusammenstöße mit Sicherheitskräften, insbesondere 2012 im Zuge des sogenannten arabischen Frühlings und nach dem Todesurteil gegen Nimr al-Nimr.
Nach der Islamischen Revolution im Iran 1979 gab es auch in Saudi-Arabien eine kurze Erhebung der Schiiten. Seither haben die schiitischen Aktivisten Saudi-Arabiens stets demonstrativen Abstand zum Iran gehalten. Ihre Forderungen gingen zum Teil noch über schiitische Interessen im engeren Sinne hinaus. So forderten sie auch eine unabhängige Justiz und freie Wahlen. Das macht sie zusätzlich verdächtig.
Wie stabil und wie geeint ist die saudische Monarchie?
Das Könighaus der Saud ist unruhig. Nicht nur wegen der wirtschaftlich schwierigen Lage im Land und zunehmendem Widerspruch aus der Bevölkerung, sondern auch, weil daraus resultierende interne Machtkämpfe dem Hof gefährlich werden könnten. Hier kursieren mehrere offene Briefe, die gar vor einem Zusammenbruch der Monarchie warnen. Dem Rang nach liegt die Macht derzeit beim alternden König Salman, seinem Kronprinzen und Innenminister Mohammed Bin Naif sowie dem Vizekronprinzen und Verteidigungsminister Mohammed Bin Salman. Tatsächlich dürften die wesentlichen Entscheidungen nicht mehr vom König direkt getroffen werden, sondern von seinen Stellvertretern – die sich Gerüchten zufolge jeweils um die Vorherrschaft bemühen.
Kann es Krieg geben zwischen den Regionalmächten?
Eine direkte militärische Konfrontation zwischen Saudi-Arabien und dem Iran ist nicht das wahrscheinlichste Szenario. Die saudischen Streitkräfte sind zwar gut ausgestattet, aber relativ kampfunerfahren – anders als die Iraner. Doch auch die iranischen Schiiten ehren die heiligen Stätten von Mekka und Medina. Ein Angriff auf den Staat, der sie beherbergt, wäre auch deshalb problematisch. Für beide Staaten wäre ein Krieg gefährlich, ein erreichbares Ziel wäre kaum zu formulieren. Wahrscheinlicher sind neue Vormärsche auf den Nebenkriegsschauplätzen: den Konflikten in Syrien, im Jemen und im Irak und andernorts, wo beide Staaten Klienten unterstützen.
Welche anderen Folgen kann der Konflikt haben?
Die konfessionelle Spaltung nimmt zu. Das zeigt der Abbruch diplomatischer Beziehungen zum Iran durch Saudi-Arabien, Bahrain, den Sudan und die Vereinigten Emirate.
Die Spannungen in gemischt konfessionellen Ländern dürften wachsen, etwa in Bahrain und im Libanon, möglicherweise auch in Pakistan. Die Bürgerkriege in Syrien und im Jemen dürften sich intensivieren. Auch diplomatische Folgen sind zu befürchten: Ob der begonnene Friedensprozess in Syrien noch eine Chance hat, bleibt abzuwarten.
Sogar der Kampf gegen die Terrormiliz IS könnte leiden. Denn im Irak – dem Staat, der zwischen Saudi-Arabien und dem Iran liegt, kämpfen beide Länder mit dem Westen zusammen gegen die Extremisten. Wenn offene Feindschaft ausbricht, dann könnte dieses informelle Bündnis brüchig werden, versanden oder gar in einen Bürgerkrieg umschlagen.
In diesem Fall wäre die Konsequenz am sichersten, die neue Konflikte im Nahen Osten immer haben: ein steigender Ölpreis und ein Rückschlag für die Weltwirtschaft. All das bedeutet potenziell mehr Flüchtlinge für Europa.
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Saudi-Arabiens Bodentruppen-Pläne bedrohen die ganze Region
Sollte Saudi-Arabien Bodentruppen nach Syrien schicken, wären heftige Reaktionen Russlands die Folge. Auch die Türkei soll kurz vor einem Einmarsch stehen. Es droht ein regelrechter Flächenbrand.
Der Himmel über Syrien ist bereits ausgebucht. Kampfjets, Drohnen und bemannte Aufklärungsflugzeuge aus aller Herren Länder sind dort hoch oben rund um die Uhr unterwegs. Nun könnte es sein, dass die Hilfstruppen für Diktator Baschar al-Assad aus Russland, dem Iran, Afghanistan und dem Libanon bald Gesellschaft auf syrischem Boden bekommen. Denn Saudi-Arabien will Soldaten nach Syrien schicken, um die Terrorgruppe Islamischer Staat (IS) zu bekämpfen.
Voraussetzung dafür sei allerdings die Einwilligung der internationalen Anti-IS-Koalition. "Das Königreich ist bereit, sich an jeder Bodenoperation der Koalition in Syrien zu beteiligen", sagte der saudi-arabische Militärsprecher Ahmed Assiri dem Nachrichtenkanal al-Arabija.
Denn Bombardierungen allein würden nicht ausreichen, um gegen den IS zu gewinnen. "Vielmehr muss es einen Mix von Luft- und Bodenoperationen geben", führte der Brigadegeneral im Fernsehen weiter aus. Seit 2014 ist Saudi-Arabien Mitglied der von den USA angeführten Koalition und hat mehr als 190 Einsätze geflogen.
In Washington wusste man von den saudi-arabischen Plänen nichts. "Ich möchte darüber nichts sagen, da ich noch keine Möglichkeit hatte, mir dies anzusehen", sagte John Kirby, der Sprecher des amerikanischen Außenministeriums. Er betonte aber gleichzeitig, man würde alle Partner unterstützen, die mehr zum Kampf gegen den IS beitragen wollten.
Es bleibt allerdings die Frage, ob die USA und die anderen Länder der Koalition von der Einsatzbereitschaft Saudi-Arabiens wirklich begeistert sind. Vielleicht ist der Saudi-Offizier etwas übers Ziel hinausgeschossen. Denn die Lage in Syrien würde sich zusätzlich verkomplizieren und noch gefährlicher werden, als sie eh schon ist.
Saudi-arabische Soldaten sind in Syrien kaum willkommen
Saudi-arabische Bodentruppen in Syrien wären ohne die Zustimmung der Regierung in Damaskus nach internationalem Recht illegal. Und diese Zustimmung käme mit Sicherheit nie zustande. Denn das sunnitische Königreich am Golf gilt als Hauptfinanzier und Waffenlieferant islamistischer Rebellengruppen und damit als Urheber des ganzen Bürgerkriegschaos.
Zudem würden der Iran und Russland, die großen Verbündeten des Regimes, eine Präsenz saudi-arabischer Soldaten ebenso wenig gutheißen. Für den schiitischen Iran ist die sunnitische Golfmonarchie der große Gegenspieler um Macht und Einfluss in der Region. Die saudi-arabischen Herrscher sind für Teheran die Inkarnation des Bösen, die jahrzehntelang die radikale Saat eines sunnitischen Islam weltweit ausgelegt haben.
Und Russland? Das war im September offiziell von Damaskus zu Hilfe gerufen worden und hat seine Militärmaschinerie in Gang gesetzt, um seine Interessen in Syrien und in der Region um jeden Preis durchzusetzen. Gerade jetzt tragen die millionenschweren Investitionen Früchte. Die syrische Armee hat Erfolge wie nie zuvor und ist drauf und dran, die großen Weichen für einen Sieg im Bürgerkrieg zu stellen.
Etwas Besseres hätte dem Kreml nicht passieren können. Da wird er kaum Soldaten eines als feindlich deklarierten Landes in seinem Vorhof dulden. Dass Riad die Terroristen des IS in Syrien bekämpfen wolle, glaubt niemand im Lager des syrischen Regimes. Damaskus, Russland und der Iran werden davon überzeugt sein, das saudi-arabische Königshaus wolle nur die Rebellen vor Ort unterstützen und ihre drohende Niederlage abwenden.
Warum sich Saudi-Arabien nicht mit Russland anlegen sollte
Das saudi-arabische Militär würde mit einem Einsatz in Syrien einen bewaffneten Konflikt mit Russland riskieren. Und der Kreml, davon kann man wohl ausgehen, wird sich gegen die unrechtmäßige Einmischung "verteidigen". Die militärischen Kapazitäten dazu hat er längst.
Seit Herbst letzten Jahres wurde die russische Militärbasis in Latakia stetig aufgerüstet. Neben einer Flotte von Kampfflugzeugen und Bombern wurden Panzer, Kampfhubschrauber, Dronen und das S400-Flugabwehrsystem stationiert. Vor der syrischen Küste kreuzen Kriegsschiffe. Jederzeit können aus Tausenden von Kilometern Entfernung Langstreckenraketen abgefeuert werden.
Der deutsche Nato-General Hans-Lothar Domröse ist über die russische Machtdemonstration besorgt. "Russland ist eine große Militärmaschine, besitzt hochmoderne Panzer, Schiffe und Flugzeuge", sagte der General. In kürzester Zeit könnte Moskau fast 100.000 Mann verschieben. Russland ist also ein Gegner, mit dem man sich besser nicht anlegen sollte.
Erdogans gesamte Syrien-Politik steht auf dem Spiel
Dieser Ratschlag scheint dem türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan egal zu sein. Letzten November schoss die türkische Luftwaffe einen russischen Jet kurzerhand ab, der nur für wenige Sekunden das Hoheitsgebiet der Türkei verletzt hatte.
Heute soll Erdogan kurz vor einer Invasion nach Syrien stehen. Dafür gibt es laut Igor Konaschenkow, dem Sprecher des russischen Verteidigungsministeriums, seit Wochen angeblich vermehrte Anzeichen. Man habe eine "wachsende Zahl von geheimen Vorbereitungen" festgestellt, die eine "militärische Invasion in den souveränen Staat Syrien" nahelegten. Konaschenkow behauptet, es gebe Satellitenaufnahmen, die das belegten.
Der russische Vorwurf ist nicht aus der Luft gegriffen. Letztes Jahr hatte Erdogan im Juni selbst die Unterstützung des Parlaments erwirkt, dass die türkische Armee gegen den IS und auch gegen das Assad-Regime kämpfen darf. Erdogans Plan war eine 100 Kilometer lange und 30 Kilometer breite Pufferzone auf syrischem Territorium. Damals sollte ein Keil zwischen die kurdischen Gebiete getrieben werden, die sich entlang der türkischen Grenze ziehen.
Ein Flächenbrand wäre die Konsequenz
Die Ausführung dieser Pufferzone dürfte heute für den türkischen Präsidenten so dringend wie nie zuvor sein. Denn seine gesamte Syrien-Politik steht auf dem Spiel. Um jeden Preis hatte er seinen Amtskollegen Assad stürzen wollen und dafür seit Bürgerkriegsbeginn islamistische Rebellen jedweder Couleur unterstützt. Und nun steht deren Schicksal auf Messers Schneide.
Die Erfolge der syrischen Armee von dieser Woche könnten dem Bürgerkrieg eine entscheidende Wende zugunsten des Regimes gegeben haben. Und die Erfolge dürften weitergehen, angesichts der nicht nachlassenden russischen Militärintervention. Die Rebellen haben dem nichts entgegenzusetzen.
Erdogan wird mehr und mehr an die Wand gedrängt, was dem egomanischen Politiker alles andere als gefällt. Man kann nur hoffen, er bleibt trotzdem realistisch genug, um sich nicht auf eine Konfrontation mit Russland einzulassen. Das Gleiche erhofft man sich von Saudi-Arabien und dessen Einsatz von Bodentruppen. Denn sonst wird der syrische Bürgerkrieg zu einem noch größeren Flächenbrand, als er jetzt schon ist.